Ende Juli stehe ich mit auf der Felsenbühne in Rathen, d.h. trotz meiner bisher einfachen Darstellung als Magd benötige ich nun einen Bliaut für die höfische Rolle, die ich im Stück „Die Hebamme“ als Komparse übernehme.

Was ist ein Bliaut

Der Bliaut ist das höfische Kleid für die Dame im 12. Jahrhundert. Typisch für einen Bliaut sind der durch Schnürung entstehende, figurbetonte Schnitt und die weiten, nach unten ausgestellten Ärmel. Die Ärmel werde ich mit Ärmelkugel arbeiten, wobei die Beleglage schwierig ist. Die mir bekannten Belege bis ins 11. Jahrhundert weisen einen geraden Abschluss im Schulterbereich auf. Seit den frühen 13. Jahrhundert sind Ärmelkugeln belegt, wenn auch noch nicht durchgängig verwendet. Da bei leicht abgeschrägten Schulternähten der Einsatz von Ärmelkugeln zu einem besseren Sitz führt, habe ich mich dafür entschieden. Die Naht inkl. eines kleinen Keils zur Zugentlastung im Achselbereich ist auf das Schulterblatt versetzt. Auch das ist eine individuelle Enscheidung. Früherere Belege führen die Naht unter der Achsel zum Rumpf, fürs Hochmittelalter ist die Nahtführung auf der Rückseite typischer. Die Seitennaht ist von kurz unter der Achsel bis zur Hüfte nicht zugenäht und wird stattdessen mit einer Schnürung geschlossen. Die benötigte Saumweite wird durch Seitenkeile ab der Hüfte erreicht. Klassischerweie sind höfische Gewänder überlang. Mit etwas Übung stört das beim Laufen aber nicht und auf unebenem Grund oder bei Treppen rafft eine Hand den Rock ganz automatisch.

Als Material kommen vorwiegend dünne, weichfallende Wollstoffe in kräftigen Farben zur Anwendung, aber auch Seidenstoffe sind möglich. Ein Unterkleid ist Pflicht, damit die Taillenschnürung keinen Blick auf die nackte Haut zulässt.

Vorbereitungen zum Schnittmuster erstellen

Am Anfang des Schnittmusters steht das Massnehmen. Ich brauche folgende Weitenmaße und gebe eine entsprechende Bewegungszugabe hinzu:

  • Halsweite, 4 cm Bewegungszugabe
  • Schulterweite, ohne Bewegungszugabe
  • Oberweite, 3 cm Bewegungszugabe
  • Taillenweite, ohne Bewegungszugabe
  • Hüftweite, ohne Bewegungszugabe
  • Oberarmumfang an der stärksten Stelle, 3 cm Bewegungszugabe
  • Armumfang auf Höhe des Ellenbogens, 2 cm Bewegungszugabe

Zusätzlich brauche ich diese Längemaße:

  • Halsansatz bis Achsel
  • Achsel bis Taille
  • Taille bis Hüfte
  • Hüfte bis Knöchel
  • Länge Armansatz unter der Achsel bis Ellenbogen, 4 cm Bewegungszugabe
  • Abstand Armansatz unter der Achsel bis zur Schulter, 4 cm Bewegungszugabe
  • Länge Ellenbogen bis Beginn Handrücken
  • Abstand ausgestreckter Arm bis Hüfte

Auf welchem Papier man ein Schnittmuster erstellt ist sicherlich perönlicher Geschmack. Aus Gründen der Wiederverwendbarkeit nehme ich Packpapier. Aber auch Schittmusterpapier mit vorgedrucktem Kästchenmuster hat seine Vorteile.

Da ich gerne mit vollständigen Schnittmustern arbeite, falte ich mir für das Vorder/Rückteil als erstes mein Packpapier längs und erhalte damit eine saubere Mittellinie. Reicht einem ein halbes Schnittmuster, kann man einfach die Außenkante des Packpapier verwenden.

Auf dem Papier arbeite ich direkt mit den gemessenen Maßen inklusive Bewegungszugabe. Wer seine benötigte Nahtzugabe kennt, kann diese natürlich auch im Schnittmuster mit berücksichtigen.

Das Vorder- und Rückteil

Das Vorder- und Rückteil sind bei mir gleichgeschnitten und unterscheiden sich später nur durch den Halsausschnitt.

Auf der Mittellinie werden als erstes die Abstände in der Höhe abgetragen und markiert, Halsansatz (= Schulterlinie) bis Achsel, Achsel (= Achsellinie) bis Taille, Taille (= Taillenlinie) bis Hüfte und Hüfte (= Hüftlinie) bis gewünschte Kleiderlänge, in meinem Fall nur bodenlang.

Von diesem Markierungen aus sind nun die Weitenmaße dran. Die Halsweite und die Schulterweite werden auf der Schulterlinie abgetragen. Die Oberweite trage ich etwa 2 bis 3 Zentimeter unter der Achsellinie ab. Die Taillenweite messe ich auf der Taillenlinie ab, die Hüftweite entsprechend auf der Hüftlinie.

Aus den markierten Punkten kann jetzt das Schnittmuster vervollständigt werden. Vom Hüftpunkt abwärts wird eine gerade Linie gezogen, die Länge dieser Linie bestimmt die Seitenlänge der Seitenkeile. Vom Hüftpunkt aufwärts wird über den Taillenpunkt bis zum Punkt, an dem die Oberweite abgetragen wurde, eine doppelt geschwungene Linie gezeichnet und bis zur Achsellinie verlängert. Von diesem Punkt auf der Achsellinie aus wird ein rechter Winkel nach innen angezeichnet. Den Schulterpunkt versetzt man 2 bis 4 Zentimeter gerade nach unten, je nach dem wie gerade oder abfallend die eigene Schulter ist. Der Punkt am Halsansatz wird mit dem versetzten Schulterpunkt verbunden und von dieser neuen Schulterlinie ein rechter Winkel nach unten eingezeichnet. Nun verbindet man den Schulterpunkt mit dem Punkt auf Achsellinie und folgt dabei auf den ersten 1 bis 3 Zentimetern dem rechten Winkel. Die Länge dieser Linie misst man aus, sie wird nachher für die Ärmelkugel benötigt.

Um den Halsausschnitt kümmere ich mich immer erst beim Nähen mit einem Beleg, dieser bleibt also für das Vorder/Rückenteil unbeachtet.

Der Schulterpunkt am Vorder/Rückteil wird nach unten versetzt.
Der Schulterpunkt am Vorder/Rückteil wird nach unten versetzt.
Das Schema für das Vorder- und Rückteil.
Das Schema für das Vorder- und Rückteil.

Der Ärmel

Der Ärmel basiert vom Armansatz bis zum Ellenbogen auf einem einfachen Trapez. Die Weite am Handgelenk obliegt dem eigenen Geschmack und dem Geldbeutel. Wenn die gewünschte Weite die Webbreite des Stoffes übersteigt, kann mit einem zusätzlichen Keil gearbeitet werden. Damit lassen sich auch bodenlange Schleppärmel verwirklichen.

Die Höhe der Ärmel entspricht dem Abstand Armansatz unter der Achsel bis zum Ellenbogen, die Weite unten dem Ellenbogenumfang. Die Weite am anderen Ende des Trapezes ergibt sich aus dem Oberarmumfang. An diesem Ende wird nun die Ärmelkugel angesetzt und um etwa ein Drittel nach aussen versetzt. Die Rundung der Ärmelkugel muss so bemessen sein, dass sie zweimal der vorhin gemessene Länge des Ärmelausschnitts abzüglich der Breite des Ärmelkeils entspricht. Die Höhe der Ärmelkugel entspricht dem Abstand Armansatz unter der Achsel bis zur Schulter. Ab dem Ellbogen wird über die Länge vom Ellbogen bis zum Handrücken verbreitert, in meinem Fall von der Mittellinie in beide Richtungen entsprechend dem Abstand des ausgestreckten Armes bis zur Hüfte. Am Abschluss wird ein wenig abgerundet, damit das ganze schöner fällt.

Um ausreichend Bewegungsspielraum unter den Armen zu haben, fehlt nun noch der Ärmelkeil. Dieser muss an der Seite des Ärmels ansetzen, zu der die Ärmelkugel hin versetzt wurde und nimmt die geschwungene Linie der Ärmelkugel auf. Die Länge des Ärmelkeils ist sowohl Geschmacks- als auch Erfahrungssache, für mich haben sich etwa ein Drittel der Länge vom Armansatz bis zum Ellenbogen bewährt. Je nach dem wie weit die Ärmelkugel seitlich versetzt ist und wie hoch die Ärmelkugel ist, muss der Ärmelkeil auch den Längenunterschied in der Ärmelnaht ausgleichen, es kann sich also ein ziemlich ungleichseitiges Dreieck ergeben.

Das Schnittmuster für den Ärmel, auf dem Papier liegt die erste Version des Ärmelkeils.
Das Schnittmuster für den Ärmel, auf dem Papier liegt die erste Version des Ärmelkeils.
Das Schema für den Ärmel.
Das Schema für den Ärmel.

Seitenkeile und Belege

Für die Seitenkeile erstelle ich kein komplettes Schnittmuster, sondern nur ein Kleines im Maßstab 1 zu 10 für den Winkel in der Spitze. Die Maße für die Seitenkeile ergeben sich aus der Länge des Vorder/Rückteil von der Hüftlinie bis zum Saum sowie der gewünschten Weite auf Saumweite.

Belege benötige ich für die Taillenschlitze und den Halsausschnitt. Für die Taillenschlitze zeichne ich die Taillenrundung vom Vorder/Rückteil ab, von unter der Achsel bis zum Hüftpunkt. Als Breite wähle ich 3 Zentimeter.

Für den Halsausschnitt wird es etwas kniffeliger, da ich beim Bliaut nicht mit einem Schlitz im vorderen Ausschnitt arbeiten kann. Der Halsausschnitt muss also weit genug sein, dass mein Kopf hindurch passt, aber trotzdem eng genug, damit er als „hochgeschlossen“ gilt. Nach mehrmaligem Probieren auch mit einem Stück Reststoff ist mein Halsausschnitt nach vorne doppelt so tief wie nach hinten und ingesamt 2 Zentimeter breiter als meine Halsweite.

Grundsätzlich sind auch leich V-förmige Ausschnitte denkbar, bei denen der Halsausschnitt des darunter getragenen Oberkleides (nicht das Unterkleid!) und der schließende Fürspan sichtbar wird.

Der Halsausschnitt wird konstruiert.
Der Halsausschnitt wird konstruiert.

Das fertige Schnittmuster

Am Ende habe ich ein Schnittteil für das Vorderteil und das Rückteil, einen Ärmelschnitt und die „Kleinteile“ für den Ärmelkeile, die Belege für Halsausschnitt und Taillenschlitz und das Maßstabsschnittteil für die Seitenkeile. Damit kann es nächste Woche an den Zuschnitt und die ersten Nähte gehen.

Das komplette Schnittmuster für meinen Bliaut.
Das komplette Schnittmuster für meinen Bliaut.

Text und Fotos: DB