Einmal im Jahr steht bei einer unserer Veranstaltungen ausnahmsweise nicht der Besucher im Vordergrund. Alles dreht sich dann um unser Historienspiel.
Jetzt fragt ihr euch natürlich was, wir darunter verstehen und warum wir so etwas machen, oder?
Uns ist es wichtig, ein möglichst stimmiges und umfangreiches Bild der durch uns dargestellten Zeit zeigen zu können. Bei Veranstaltungen kommen immer wieder Fragen von Besuchern nach dem damaligen Weltbild, den gesellschaftlichen Normen und Wertevorstellungen auf. Wir haben für uns festgestellt, dass sich diese Fragen einfacher beantworten lassen, wenn man sich gedanklich für ein paar Tage in die Zeit versetzt und es selber ausprobiert.
Wie entsteht ein Historienspiel? – Die Recherche davor
Für unsere Historienspiele suchen wir uns einen konkreten Zeitpunkt in der Geschichte, für den wir uns das Leben in der Mark Meissen näher anschauen wollen. Vor zwei Jahren war das zum Beispiel der Bau der Elbbrücke bei Dresden, letztes Jahr die Eventualbelehnung des Thüringer Landgrafen mit der Mark Meissen.
Wenn wir uns also einen Zeitpunkt ausgesucht haben, geht es zunächst einmal an die Recherche. Wie waren die politischen Machtverhältnisse zu dem Zeitpunkt? 1226 beispielsweise ist der spätere Heinrich der Erlauchte, Sohn des verstorbenen Markgrafen Diedrich, immer noch minderjährig. Seine Mutter ist mit einem Thüringer Grafen verheiratet. Heinrichs Vormund ist der Thüringer Landgraf, sein Onkel, der mit der Eventualbelehnung seinen Herrschaftsanspruch auf die Markgrafschaft manifestiert für den Fall das Heinrich stirbt.
Welche Urkunden existieren für den gewählten Zeitraum? Gibt es Schenkungen, Leihverträge oder ähnliches, die uns eine Idee liefern, was unsere Akteure beschäftigt haben könnte. Für 1226 kurz nach der Eventualbelehnung wurde zum Beispiel der Herrensitz eines meißnischen Ministerialen wegen dem Vorwurf des Landfriedensbruchs geschliffen. Was wird in dem Fall wohl den benachbarten Adeligen durch den Kopf gegangen sein?
Wie versuchen wir etwas über die Versorgungssituation zu diesem Zeitpunkt zu erfahren? Der Winter 1225/1226 etwa war ein Hungerwinter. Eine schlechte Versorgungslage ist aber häufig mit Krankheitsausbrüchen oder auch Unruhen in der Bevölkerung verbunden. Welche Belege gibt es dafür?
Wie entsteht ein Historienspiel? – Die Handlung wird geplant
Als nächstes brauchen wir natürlich noch ein passendes Ereignis, mit dem wir begründen können, dass wir alle, soweit verteilt wir in unserer Darstellung in der Mark Meißen leben würden, zusammenkommen. Das kann mal ein Landing sein, eine Hochzeit, eine Einladung zur Jagd aber auch ein „Krisentreffen“, um bestehende Unruhen zu befrieden oder einen Heerbann vorzubereiten. Hier finden sich in den wenigsten Fällen hundertprozentig belegbare Ereignisse. Wir versuchen deswegen ein Ereignis zu konstruieren, das vor den bekannten historischen Gründen glaubhaft erscheint.
Nicht unerheblich sind natürlich auch die örtlichen Gegebenheiten, die wir zum Historienspiel haben. Manchmal suchen wir uns ganz konkret einen Veranstaltungsort. In vielen Fällen nutzen wir aber Veranstaltungsorte an denen wir schon häufiger waren. So haben wir zum Beispiel in der Klosterruine Heilig Kreuz bei Meißen, im Castrum Turgelowe in Torgelow, auf Schloss Rothschönberg nähe Nossen, auf Burg Gnandstein und Burg Frauenstein gelagert. Wenn wir keine Innenräume haben, werden wir das auslösende Moment somit um ein Reiselager konstruieren. Wenn wir Räumlichkeiten zur Verfügung haben, wird vielleicht eine der anwesenden Familien die Hausherren geben.
Wenn die geschichtlichen Rahmenbedingungen bekannt sind und das auslösende Moment festgelegt wurde, geht es an die Detailplanung. Wir versuchen sehr viel spontan aus der Situation heraus zu interagieren. Um das Spiel dennoch grob zu lenken und neue Mitwirkende heranzuführen, arbeiten wir oft mit Auftragskärtchen oder die Mitwirkenden bekommen im Voraus kleine Aufgaben zugespielt. Das Historienspiel wird im kleinsten Kreis vorbereitet und meist kennen nur 2-3 Leute das gesamte Konzept. Wir haben für uns festgestellt, dass es den „Neuen“ Handlungssicherheit gibt, wenn sie durch einen konkreten Auftrag ins Spiel eingebunden werden. Für die „alten Hasen“ ist es hingegen spannend, wenn Situationen sich plötzlich ändern und sie spontan und historisch korrekt agieren müssen. Manchmal entstehen dadurch auch völlig neue Erzählstränge und das Spiel entwickelt sich in eine gänzlich andere Richtung als ursprünglich vermutet.
Natürlich muss sich aber auch jeder selbst auf das Historienspiel vorbereiten. Jeder von uns verkörpert eine Rolle, die er auch gewöhnlich darstellt, das sind Mägde/Knechte, Bürger, Ministeriale und Edelfreie. Bei den Veranstaltungen, deren Fokus auf der Besucherbetreuung liegt, kommt natürlich die Interaktion zwischen den Ständen und dargestellten Familien etwas zu kurz. Trotzdem haben wir den Anspruch, dass jeder „seine“ Familie kennt, genauso wie Verflechtungen mit den andern dargestellten Personen, und sich sicher in den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen der Zeit bewegen kann.
Nicht alle von uns dargestellten Personen haben tatsächlich zur selben Zeit gelebt. Für Historienspiel kann es also sein, dass man den Vater oder Sohn der eigenen Person darstellt. Gerade bei den Herren ist das meist kein Problem, da häufig sogar der Vorname derselbe ist. Uns ist eher wichtiger, dass jeder in dem von ihm dargestellten Stand und der Familie verbleibt.
Dadurch, dass einige Historienspiele zeitlich aufeinander aufbauen, werden einige Spielstränge ganz von alleine wieder aufgenommen und bieten Gesprächsthemen und Spannungsfelder.
Was kann in einem Historienspiel alles passieren?
Wenn wir ausnahmsweise unseren Markgrafen dabei haben (wir leisten uns den Luxus, uns unseren Markgrafen aus einer befreundeten Gruppe zu leihen) werden die Hofämter des Marschall, Truchsess und Schenken besetzt. Dann gelten natürlich die Regeln des höfischen Zermoniells. Niemand wird bewaffnet vor den Markgrafen treten und so werden die Schwerter an den Marschall übergeben. An der Tafel werden zeremoniell die Hände gewaschen und der Wein durch Kellermeister und Schenk verkostet. Der Truchsess kümmert sich um die Sitzordnung und kündigt die Gänge an. Ein solches Spiel ist stark vom Zeremoniell geprägt und jeder hat immer ein Auge auf den Fürsten, um rechtzeitig auf kleine Gesten reagieren zu können.
Wenn nur Edelfreie und Ministeriale anwesend sind, ist das Protokoll natürlich etwas lockerer, dennoch ist es wichtig die gesellschaftlichen Rangunterschiede zu kennen. Wir haben Reichsministerialen in der Gruppe genauso wie ministeriale und edelfreie Vasallen des Meißner Markgrafen, Vasallen des Meißner Burggrafen und des Meißner Bischofs. Diese Lehnsherren haben natürlich ihre eigenen Interessen, die deren Vasallen berücksichtigen müssen. Aber nicht nur die Herren müssen untereinander agieren, genauso gilt es für die Damen die Ränge zu berücksichtigen, in Abwesenheit ihrer Gemahlen die Güter zu verwalten, die Ehre ihrer Familien zu verteidigen, wenn es nötig ist. Das kann dann durchaus schon mal bis zur Fehde führen.
Im höfischen Umfeld gehört die Minne ganz selbstverständlich dazu. Beim Bankett sind das durch die Herren, aber auch Knappen und Pagen, vorgetragene Gedichte und Lieder. Vorm Turnier bittet der Herr vielleicht seine auserwählte Dame um einen Minnepfand oder unterbreitet ihr eines. Überhaupt ist der höfliche Umgang untereinander von besonderer Bedeutung.
Zum Historienspiel (wie auch zu allen anderen Lagern) gehören für uns aber auch ganz selbstverständlich Tänze des Mittelalters und der Renaissance. Dabei kann man natürlich unauffällig Informationen austauschen, in erster Linie macht es aber einfach Spaß und ist eine willkommene Abwechslung beim Bankett.
Eine Dame wird bei uns nicht allein und unbegleitet im Lager oder gar außerhalb unterwegs sein, sie wird je nach Stand vielleicht durch eine Magd, eine andere Edeldame oder eine Wache zu ihrem Schutz begleitet. Überhaupt sind die Mägde, Knechte und Wachen unersetzlicher Teil des Historienspiels. Ohne sie wäre die Darstellung eines Ritters oder einer Dame gar nicht möglich. Auch ein einfacher Ritter verfügte über Personal. Diese stellen die Versorgung sicher, übernehmen Botengänge und sind, da sie sich manchmal freier im Lager bewegen können, sogar besser informiert als ihre Herrschaften.
Die von uns dargestellte Zeit ist zutiefst christlich geprägt und auch wenn nur ein paar von uns Glaubensgemeinschaften angehören, gehört das gemeinsame Tischgebet dazu. Der christliche Glaube gibt im Mittelalter den Rahmen für die persönliche Handlung, denn das eigene Seelenheil und das der Familie waren von herausragender Bedeutung. Dafür wurden Klöster gestiftet, Schenkungen übereignet, Pilgerfahrten unternommen. Der Glaube wurde durchaus öffentlich gelebt und ein vorbildlicher Lebenswandel sicherte auch die eigene Stellung. Andererseits waren Nächstenliebe und die Verpflichtung Almosen zu geben und sich für Schwache einzusetzen, Grundlagen einer funktionierenden Gesellschaft.
Konflikte um Recht oder Besitz wurden nicht immer mit der Waffe gelöst und auch wenn es im Rahmen der Historienspiele schon mal zu Fehdezügen kommt oder Kreuzzüge vorbereitet werden, ist es oft die Diplomatie die nötig ist Konflikte zu lösen. Die gesellschaftlichen Normen sind eng. Bei Verfehlungen kann es sein, dass sich ein Vasall seinem Lehnsherrn unterwerfen muss. Einerseits ist eine öffentliche Unterwerfung natürlich demütigend, andererseits aber auch ein kluger Schachzug, der den Lehnsherren zwingt sich gnädig und großmütig zu zeigen. Das christliche Wertegefüge gewährleistet hier das eine Strafe milder ausfallen wird, als vielleicht gerechtfertigt.
Und was ist mit den „Neuen“?
Wenn wir uns den gerade geschriebenen Text durchlesen, klingt das natürlich sehr komplex und setzt voraus, dass man sich mit der Geschichte und den gesellschaftlichen Regeln der Zeit auseinandergesetzt hat. Jedem von uns ist es am Anfang schwer gefallen, sich in das Gefüge der Zeit hinein zu versetzten, deswegen sind die neueren Mitglieder unter uns die ersten Male gewöhnlich in niederer Darstellung im Gefolge dabei. Nicht weil das so festgelegt ist, sondern weil es bis jetzt jeder so freiwillig gehandhabt hat. Als Magd, Amme, Waffenkecht, Knappe etc. hat man einfach deutlich mehr Freiraum und kann sich auch mal für eine Pause zurück ziehen, oder falls man doch mal ein Fettnäpfchen mitnimmt, wird es übersehen oder fällt auf den Dienstherren oder die Dienstherrin zurück.
Nicht jeder aus unserer Gruppe ist bei den Historienspielen dabei, das ist für uns genauso in Ordnung wie, das einige gern in der dienenden Rolle bleiben und die Dispute als „Zuschauer“ genießen.
Warum also Historienspiele?
Warum also der ganze Aufwand? Trotz der Bezeichnung Historienspiel spielen wir kein Theater. Theater wäre eine Inszenierung für Publikum. Wir aber interagieren untereinander, um die von uns dargestellte Zeit besser zu verstehen und uns sicher in den gesellschaftlichen Regeln bewegen zu können. Dabei festigt sich ganz nebenbei das Wissen um politische Zusammenhänge und historische Ereignisse.
Wir veranstalten jedes Jahr ein Historienspiel, da uns alle Facetten der Darstellung interessieren. Für uns gehört zur mittelalterlichen Darstellung mehr als nur in schicker Kleidung zu zelten. Aber natürlich macht ein Historienspiel auch wahnsinnig viel Spaß, es bereichert die Gruppe und gibt Gesprächsstoff für viele weitere Abende.
Ganz nebenbei können wir bei anderen Veranstaltung den Besuchern dann wieder ein bisschen besser erklären, wie es sich angefühlt haben mag, im 12. oder 13. Jahrhundert gelebt zu haben.
Text: KS